Ausschlafen fällt heute aus. Wer den Tempelberg besichtigen möchte, sollte früh aufstehen, den nur vor den Gebetszeiten ist Nicht-Muslimen der Zutritt gestattet. Das Internet verrät nach viel Recherche Öffnungszeiten von 8.30-11.00 Uhr, aber ganz sicher kann man sich dessen wohl nicht sein. Also suche ich um halb zehn etwas desorientiert nach dem Zugang, der mir als Nicht-Muslima nur durch eines der vielen Tore gewährt werden kann. Verräterisch ist letztlich das Schild, auf dem ein Rabbi gläubigen Juden den Zutritt untersagt, zu groß ist die Gefahr, aus Versehen in das Allerheiligste des zerstörten Tempels zu treten. Nach der Taschenkontrolle geht es über einen Holzweg oberhalb der Klagemauer hinauf.
Oben bin ich beeindruckt – das Gelände ist weitläufig, die vergleichsweise wenigen Touristen verlieren sich. Hier und da sitzen im Schatten jeweils Männer oder Frauen in Gruppen zusammen, in den Plausch oder das ernste Gespräch vertieft. Vor mir erheben sich die Al-Aqsa-Moschee, das drittwichtigste heilige Platz der Muslime. Und links von mir schimmernd und der Felsendom. Unglaublich, dass eine solche Kuppel bereits knapp 700 n. Chr. gebaut werden konnte. Und trotz der Größe – der zweite Tempel Jerusalems muss den Felsendom in seinen Ausmaßen um einiges übertroffen haben. Leider ist mir das Betreten der Gebäude nicht gestattet, doch bereits das Umwandern der beindruckenden Bauten und eine Pause im Schatten der Bäume sind den Besuch wert.
Nach jüdischer und muslimischer Tradition fand hier die Beinahe-Opferung Isaaks statt, dann erhoben sich hier die Tempelbauten Salomos und Herodes, später erbauten die muslimischen Eroberer den Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee und erinnerten damit an den Ort, von dem Mohammed seine Himmelsreise angetreten hat. Beide Heiligtümer dienten den Kreuzfahrern wiederum als Residenz und Kirche, bis Saladin sie wieder dem islamischen Kult zurückbrachte. Obgleich Gebete anderer als des Islams hier oben verboten sind und trotz aller Konflikte um die ewige Stadt Jerusalem – hier oben ist davon wenig zu spüren – dafür warmer Wind, weite Blicke, Ruhe und Frieden. Beim Gehen wähle ich eines der anderen Tore und werde freundlichst erst von einem Straßenkehrer und dann einem Mann am Tor darauf hingewiesen, dass wenn ich den Platz durch dieses Tor verlasse, ich nicht durch dieses Tor zurückkommen kann. Wie so oft auf meiner Reise bin ich von Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft von allen Seiten immer wieder beeindruckt.
Ich suche meinen Weg durch die Gassen bis zum Löwentor/Stephanstor und von dort den Hügel hinab zum Garten Gethsemane. Uralte Olivenbäume stehen ruhig zwischen trubeligen Touristengruppen und aufdringlichen Taxifahrern. In der angrenzenden Kirche lässt sich kurz verschnaufen, als eine Gruppe von Vietnamesen beginnen, einen Gottesdienst zu feiern und gesanggeübte Männerstimmen die Kirche mit Klang erfüllen.
Nach einem kurzen Aufstieg Richtung Tempelberg erhalte ich wunderschöne Aussichten vom Garten und aus der Kirche Dominus Flevit. Der kleine schlichte Bau, der an die Trauer Jesu angesichts der kommenden Zerstörung Jerusalems erinnert, ist nicht wie üblich nach Osten ausgerichtet, sondern der Blick über den Alter fällt durch ein helles Fenster nach Westen auf den Tempelberg, Felsendom und dahinter die Grabeskirche.
Weitergeht es heute noch nach Bethlehem. Also wieder hinunter, ein kurzer Abstecher zum Mariengrab und ich erklimme den Berg zur Altstadt erneut, suche meinen Weg durch die verwinkelten Gassen zum Damaskustor und dem dortigen Busbahnhof. Ich finde einen modernen, voll-klimatisierten Bus nach Bethlehem und löse ein Ticket für umgerecht nicht einmal 1,50 Euro – ich glaube, das konnte keiner der zahlreichen Taxifahrer toppen.
In Betlehem ausgestiegen weisen Taxifahrer gern den Weg Richtung Geburtskirche, sind aber umso schwerer wieder loszuwerden… Mitten durch den Bazar der Altstadt mit lautem Rufen, viel Gehupe und tausend Läden finde ich meinen Weg zur Geburtskirche. Auch hier ist die größte Herausforderung sich gegen Reiseführer zu wehren und allein den Weg in und durch die Kirchen anzutreten. Trotz verschiedener Altäre, Traditionen und den sich eng an die Kirche drängenden Klöstern verschiedener Konfessionen wirkt der Raum einheitlicher, ruhiger, zentrierter als die Grabeskirche und gewinnt sofort an Ausstrahlung als einige armenische Priester singend ihren Gottesdienst beginnen.
Nach einem kurzen Bummel durch die Seitenstraßen und dem Blick über Bethlehem vom Dach einer Olivenholzmanufaktur finde ich meinen Weg zurück nach Jerusalem.
Der Abend schließt mit einem Spaziergang zurück in der Jerusalemer Altstadt, die kitschig, künstlerisch und so manches Mal recht frech von Lichtinstallationen des Festivals der Lichter durchwoben ist.
Wehmut macht sich breit, unterstützt von einer großzügigen Portion Araq bei einem Bekannten – Morgen verlasse ich diese einmalige Stadt von der ich manches und doch so wenig gesehen habe. Ich werde wohl wiederkommen müssen.